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Jutta Kritsch: Cutouts

9 years, 11 months ago Texte 0

Tatorte haben es Jutta Kritsch angetan. Szenerien, die sie als Malerin genüsslich auslotet mit Licht-Schatteneffekten, An- und Ausschnitten und allem, was das Gefühl verstärkt, dass das alles nicht gerade heimelig ist. Ein zerbeultes Auto unter einer nächtlichen Autobahnbrücke, eine geöffnete Türe, hinter der es steil nach unten in ein Schiffsinneres geht,  ein Pendler mutterseelenallein im nächtlichen Bus in ein Buch vertieft – so stellt man sich Situationen vor, in denen etwas in der Luft liegt, die aufgeladen sind von der Ahnung, dass da gleich etwas geschehen wird oder eben etwas geschah, was der Betrachter gar nicht wissen soll.

Parallel zu dieser Werkgruppe sind in den vergangenen eineinhalb Jahren Cutouts entstanden, mit denen die Künstlerin ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf Akteure richtet, die aus den besagten Szenerien stammen könnten. Figuren, wie durch einen Zoom vergrößert, werden ins Rampenlicht geholt, realistisch bis ins Detail gemalt. Da steht dann eine Soldatin mit hochgestecktem Haarschopf im Tarnanzug eher ratlos als militärisch stramm; kniet ein gefesselter Kapuzenmann auf dem Boden und ruft, in leblosem Grau in Grau gemalt, Schreckensbilder wach, die man aus Nachrichten kennt; oder es stürzt ein Macho-Typ mit Hut rücklings im freien Fall auf den Betrachter zu. Momentaufnahmen, die keinen Hinweis auf Umstände, auf Zeit und Raum geben. Die Figuren haben sich gelöst aus dem illu-sionistischen Rahmen, den Malerei auf Bildflächen für den Betrachter eröffnet. Sie sind eigenständige Bildobjekte.

Mit der Ästhetik der Silhouetten, Schattenrisse und Laser-Cutouts, wie sie aktuell eine Wiederentdeckung in der Kunstszene erleben, hat dieses Bildkonzept nicht viel zu tun. Jutta Kritsch steht damit eher in der Tradition von Künstlern, die damit experimentierten, das vertraute Rechteck als Bildformat zu verlassen: Frank Stella etwa oder Ellsworth Kelly mit der Idee der Shaped Canvases und monochromen Farbformen; Salvador Dali, der schon mal die Umrisse menschlicher Oberkörper zum äußeren Bildformat machte; oder Alex Katz, dessen fast lebensgroße zweiseitig bemalte Cutouts die Künstlichkeit zelebrieren.

Bei Kritsch stehen am Anfang des künstlerischen Prozesses Bilder, Erlebnisse, Erinnerungen, die sie beschäftigen. Situationen, die sie gesehen hat in urbaner Alltagsumgebung, Nachrichtenbilder oder Filmszenen entwickeln in ihrer malerischen Phantasie ein Eigenleben, fügen sich zu neuen Bildkompositionen. „Die Bilder sind fertig, sie sind in meinem Kopf“ sagt die Künstlerin. Aber sie setzt sie so nicht um in Malerei, sondern zerstört den Bildzusammenhang, löscht ihn. Nur der jeweilige Akteur bleibt übrig. Und nur diesen skizziert sie auf die Sperrholzplatte, perspektivisch so, wie er in der imaginierten Szene platziert war, mal verkleinert in der Aufsicht, mal im direkten Gegenüber. Die Umrisse der Form sägt sie aus und benutzt diese Cutouts dann als Bildträger. Die malerische Binnengestaltung der silhouettenartigen Flächen – oft in abstrahierenden und distanzierenden Grau-Tönen – gibt den Figuren im Detail Körperlichkeit und plastische Wirkung. Bildgegenstand und Bildfläche verschmelzen in dieser Bildkonzeption ineinander, sind am Ende nicht mehr voneinander zu trennen. Weil die figürlichen Objekte schwebend vor weißer Wandfläche fixiert werden, betont der entstehende Schattenwurf ihre Körperhaftigkeit. Sie drängen sich förmlich in den Wahrnehmungsraum des Betrachters.

Angesichts der medialen Neuentwicklungen und Herausforderungen durch die digitale Bildproduktion wirken diese Cutouts wie eine analoge Offensive. Sie rufen beim Betrachter eine Palette von Assoziationen und Projektionen hervor. Allemal, wenn die Gestalten so lebensnah gestaltet sind wie etwa das Paar, das sich im „Kuss“ spielerisch-ornamental verrenkt. Sie irritieren aber auch. Der indische „Schläfer“, der lang ausgestreckt dem Betrachter zugewandt auf dem Ellenbogen ruht, macht ohne einen umgebenden Raum den Betrachter zum ungehörigen Eindringling in seine höchst private Aura der Versunkenheit und des Schlafs. Die absonderliche Normalität des alten Mannes im Mantel, der vorsichtig einen kleinen Plastikbeutel mit Wasser und Goldfisch hält, wirkt fast schon wie eine Tarnung. Der spießige Tierfreund könnte auch zwielichtiger Akteur sein.

Wenn man Jutta Kritschs Bilder fast durchgehend auch als „unheimlich“ wahrnimmt, dann im Sinn von Siegmund Freuds Aussage „Un-heimlich ist irgendwie eine Art von heimlich.“ Denn das Unheimliche sei nicht Neues, Fremdes, sondern gerade eben Heimisches, Vertrautes, das im Prozess der Verdrängung entstellt wird. Auf die Spitze treibt sie das gerne mit einer Mischung aus subversiver Ironie und schwarzem Humor. Dann lässt sie zum Beispiel einen überlebens-großen Säugling neugierig auf den Betrachter zuschweben. Sein Kopf ist perspektivisch vergrößert, weiche Farben betonen das Schutzbedürftige des Babykörpers. Ein rührender Anblick – bis man das böse Glimmen im Auge entdeckt. Und schon tastet man die Figur mit den Blicken genauer ab: Haben die Händchen nicht etwas Krallenartiges, gleicht das Babylächeln nicht eher einem Monstergrinsen?

Engelsgleich und klischeekonform ist dieses Wesen jedenfalls nicht. Man würde sich nicht wundern, wenn zeitnah ein weiterer Akteur im Sinkflug aus dem Off auftauchte. Vielleicht so einer wie der Astronaut, der als technisch vermummter Alien in Grau-Rosa mit einem gleichermaßen vermummten Vierbeiner an der Leine direkt aus dem Weltraum gelandet scheint, plump und komisch zugleich – eine alltagstaugliche Ikone des Traums vom Fliegen. Weil die menschliche Fantasie offenbar auf Geschichtenvollendung fixiert ist, spinnt der Betrachter Erzählfäden zu Ende, die an die Figuren geknüpft scheinen. Das niedliche Mädchen, das als „Rotkäppchen“ ein aufgeklapptes Messer in der Hand hält, wird dann schnell zur kleinen Teufelin, die Unheil anrichtet. Oder zum Kind, dem im nächsten Moment sicher der unbedachte Scherz mit dem gefährlichen Gegenstand verboten wird. Oder geht es um schwarzen Humor im besten Sinn – die Rache Rotkäppchens an der Romantik?

Jutta Kritschs Bildobjekte spielen mit Entfremdung und Verunsicherung unserer Sehgewohnheit. Sie bewegen sich in den Grenzbereichen zwischen Realität und Fiktion, Bewusstem und Verborgenem. Doch sie teilen uns auf subtile Weise auch etwas über uns Menschen mit. Darüber, wer wir sind und was wir wollen, was uns beunruhigt, was wir meiden. Sie verhandeln unsere Sache, auch wenn sie uns fremd vorkommen.

 

Dr. Irmtraud Rippel-Manß

[Oldenburg, Mai 2014]

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